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12.06.2008

Rechtsanwalt Riedel: Anmerkungen zu einer Entscheidung des BGH

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 16. April 2008 entschieden, dass für die Entscheidung über einen Antrag zu einer Durchsuchungsanordnung wegen des Verdachts des "Schwarzfunkens" (Frequenznutzung ohne Frequenzzuteilung) dasjenige Amtsgericht zuständig ist, in dessen Bezirk die Verfolgungsbehörde (in diesem Falle die Bundesnetzagentur) oder deren antragstellende "Zweigstelle" ihren Sitz hat.

Diese Entscheidung wird von Fachleuten und auch von juristischen Laien kritisch gesehen - unter anderem deshalb, weil die Gefahr besteht, das die Behörde - durch Wahl einer entsprechenden antragstellenden "Zweigstelle" - praktisch selbst bestimmen kann, welches Amtsgericht für die Erteilung einer gewünschten Durchsuchungsanordnung zuständig sein soll.

Der Kölner Rechtsanwalt Michael Riedel hat uns zu der Entscheidung des BGH eine ausführliche Stellungnahme übersandt, die wir nachfolgend gern wiedergeben:

 

RECHTSANWALT MICHAEL RIEDEL

 

VOM GESETZLICHEN RICHTER ZUM BEHÖRDENRICHTER ?
Anmerkungen zu dem Beschluss des Bundesgerichtshofs – 2 ARs 74/08 – vom 16. April 2008

KÖLN, DEN 11. JUNI 2008

I.

Der BGH hat am 16. April 2008 durch Beschluss entschieden, dass auf den Antrag einer Außenstelle der Bundesnetzagentur auf Anordnung einer Durchsuchung wegen des Verdachts eine Sendeanlage ohne Frequenzzuteilung genutzt zu haben, das Amtsgericht zuständig sein soll, in dessen Bezirk die Außenstelle ihren Sitz hat.

Der Entscheidung liegt ein Zuständigkeitsstreit zweier Amtsgerichte – dem Amtsgericht am Tatort oder Wohnort des Betroffenen und dem Amtsgericht am Sitz der Außenstelle der Verfolgungsbehörde – zugrunde.

Der BGH bezieht sich in dem Beschluss auf die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten gemäß § 149 OWiG – Nutzung einer Frequenz ohne Zuteilung – und stützt sich auf die §§ 162 StPO, 46 OWiG, wonach die Zweigstelle einer Verfolgungsbehörde einen solchen Antrag bei demjenigen Gericht zu stellen hat, in dessen Bezirk die Zweigstelle ihren Sitz hat.

II.

Dieser Entscheidung begegnen Bedenken.

1. Das Gericht geht zunächst von einer nicht zutreffenden Ausgangslage aus. Dem § 149 Abs. 1 Nr. 10 TKG ist nicht zu entnehmen, dass die Nutzung einer Sendeanlage ohne Frequenzzuteilung eine ordnungswidrige Handlung darstellt. Ordnungswidrig handelt gemäß § 149 Abs. 1 Nr. 10 TKG vielmehr, wer eine Frequenz ohne Zuteilung nutzt. Ob der Betrieb einer Sendeanlage rechtmäßig erfolgt oder nicht, gehört nicht zum sachlichen Anwendungsbereich des Telekommunikationsgesetzes.

2. § 162 StPO wurde durch das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen zum Zweck der Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens und zur Kompetenzbündelung für Anordnungen von Ermittlungsmaßnahmen mit technischem Hintergrund neu gefasst.

Durch die Anwendung des § 162 StPO ordnet der BGH im Ergebnis alle Zuständigkeitsbereiche der Bundesnetzagentur für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten nach dem Amateurfunkgesetz (AFuG), dem Telekommunikationsgesetz (TKG), dem Gesetz über die elektromagnetische Verträglichkeit von Betriebsmitteln (EMVG) und dem Gesetz über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen (FTEG) gegen verdächtige Frequenznutzer und gegen verdächtige Hersteller und Inverkehrbringer von Funkanlagen und Betriebsmitteln dem Bereich der mittleren bis schweren Kriminalität zu. Im Hinblick auf die Sonderregelung des § 46 Abs. 3 OWiG, dem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei Eingriffen in die Grundrechte aus Art. 10 GG und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zugrunde liegt, erscheint dies verfassungsrechtlich bedenklich, gerade weil mit der Ahndung einer Ordnungswidrigkeit kein kriminelles Unrecht verfolgt wird und deswegen hier besonders gilt, dass der Zweck nicht jedes Mittel heiligt.

3. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs konnten Außenstellen von Behörden – anders als Zweigstellen – als unselbständige Organisationseinheiten grundsätzlich keine Gerichtszuständigkeiten begründen. Davon dürfte er jetzt abgekehrt sein.

Bedenken dagegen ergeben sich aus Art. 101 GG, wonach der Bürger einen Anspruch auf den gesetzlichen Richter hat. Er muss im Voraus nachvollziehen können, bei welchem Gericht ein Gerichtsverfahren behandelt werden wird.

Regelmäßig dürfte das Recht auf den gesetzliche Richter auch dann verletzt sein, wenn die Begründung und Aufgabenzuweisung solcher Organisationseinheiten – gleich, ob man sie nun als Zweigstelle oder Außenstelle bezeichnet –, ihre Zuständigkeit, ihr Sitz und die Anforderungen an die sachliche und berufliche Qualifikation des Ermittlungspersonals, sich nicht in einem förmlichen Gesetz wiederfinden lassen, stattdessen die Exekutive nahezu beliebig darüber bestimmt oder bestimmen kann, wer der gesetzliche Richter im Einzelfall ist.Dem Beschluss ist nicht zu entnehmen, dass sich der Bundesgerichtshof mit dieser Frage befasst und die Nachvollziehbarkeit der Organisation der Bundesnetzagentur und deren Außenstelle einer rechtlichen Prüfung unterzogen hat.

4. Zutreffend handelt es sich in diesen Fällen stets um Ermittlungsmaßnahmen mit technischem Hintergrund. Es kann auch durchaus zweckmäßig sein, eine Kompetenzbündelung durch eine besondere, gesetzliche Zuständigkeitsregel zu begründen. Die Zuständigkeit und die Kompetenz setzen sich jedoch wechselseitig voraus. Zuständigkeit und Kompetenz der Bundesnetzagentur müssen sich aus der Verfassung und der gesamten Rechtsordnung ergeben. Letztendlich muss sich die Kompetenz auch in gerichtlichen Entscheidungen zu dem Sachgebiet widerspiegeln, um eine solche Kompetenz, Selbständigkeit und schließlich wieder die Zuständigkeit einer Außenstelle begründen zu können. Bedauerlicherweise geht der Bundesgerichtshof auf diese Problemstellung nicht ein.

5. Im Lichte der Entscheidung des Bundesgerichtshofes, des Art. 101 GG und dem Aufklärungsgebot ist konsequenterweise die Zuständigkeitsregelung des § 68 OWiG, wonach das Amtsgericht am Sitz der Verfolgungsbehörde für die Verhandlung über den Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid zuständig ist, anzuwenden.

Ist nunmehr eine Außenstelle der Bundesnetzagentur als Zweigstelle mit zuständigkeitsbegründender Wirkung im Sinne des § 162 StPO anzusehen, so stellt sich die Frage, ob ist sie auch zuständigkeitsbegründende Verwaltungsbehörde im Sinne des § 68 OWiG ist. Dies wurde für Außenstellen bislang verneint, für Zweigstellen jedoch bejaht. Demzufolge wurde gemäß § 1 ff. des Gesetzes über die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (BEGTPG) in Verbindung mit § 149 Abs. 3 TKG, 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG die Zuständigkeit des Amtsgerichts am Sitz der Behörde in Bonn angenommen.

Dem Grundgedanken der Kompetenzbündelung würde es nunmehr zuwiderlaufen, wenn gemäß § 68 OWiG das Amtsgericht Bonn wegen des Behördensitzes der Bundesnetzagentur in Bonn in der Hauptsache weiterhin zuständig bliebe.

Bedenken ergeben sich aus dem Umstand, dass sich die Kompetenzbündelung in der Hauptverhandlung regelmäßig fortsetzt. Sie dient auch dem Schutz des Betroffenen. Das Gebot eines fairen Verfahrens und das Aufklärungsgebot verlangt von dem Gericht in der Hauptverhandlung, alle vorangegangenen Ermittlungsmaßnahmen einer rechtlichen Prüfung zu unterziehen. Kenntnisse der Verhältnisse am Tatort zum Zeitpunkt der Tat sind für die Prüfung des Vorhandseins und der richtigen Ausübung der eingeräumten behördlichen Kompetenz unerlässlich. Ein faires Verfahren kann nur gewährleistet werden, wenn auch das zuständige Gericht mindestens die gleiche räumliche Nähe zum Geschehen aufweist, wie die der Außenstelle im Ermittlungsverfahren. Nur so kann die ausgeübte Kompetenz der Außenstelle einer Prüfung unterzogen werden. Da das Ordnungswidrigkeitengesetz grundsätzlich von den Ländern und in Sachbereichen vollzogen wird, in denen stets eine Nähe der Behörde zum Tatort und zu dem zuständigen Gericht gegeben ist, so ist dies bei der Bundesnetzagentur und der Verfolgung von Verstößen gegen die Frequenzordnung durch Außenstellen wegen der vielfältigen Gestaltung der Sachverhalte und der besonderen Abhängigkeit der Sachverhalte von den örtlichen Gegebenheiten nicht gewährleistet. Es bleibt abzuwarten, ob und wie das Amtsgericht Bonn nun die Regelung des § 68 OWiG bei der Prüfung seiner Zuständigkeit auslegen wird.

6. Der Beschluss des Bundesgerichthofs hat zur Folge, dass die Bundesnetzagentur das zuständige Gericht bestimmt und nicht etwa das Gesetz. Aus der Praxis ist bekannt, dass die Behörde über eine Außenstelle in Leer und über eine Außenstelle in Bremen verfügt. Es stellt sich die Frage, ob die Regelung des § 162 StPO im Hinblick auf Art. 101 GG nicht dahingehend verstanden werden muss, dass zunächst die dem Tatort nächstgelegene Außenstelle die Ermittlungen hätte an sich ziehen und übernehmen müssen um dann die Zuständigkeit des Amtsgericht Leer zu begründen. Sachliche Gründe für eine derart ausgedehnte überregionale Aufgabenerfüllung durch eine einzige Außenstelle – wie hier in Bremen – sind nicht vorhanden und von dem Bundesgerichtshof auch nicht dargelegt worden. Es gibt grundsätzlich keine organisierte Begehung eines Verstoßes gegen eine Ordnungsnorm, wie dies bei der organisierten Kriminalität der Fall sein kann. Die Erstellung eines Antrages auf eine Durchsuchungsanordnung und der Erlass eines Bußgeldbescheides kann jedenfalls von jeder Außenstelle geleistet werden, wie das Gericht durch die Kompetenzzuschreibung gerade zum Ausdruck gebracht hat.

7. Der Amtsrichter, dem ein Antrag der Bundesnetzagentur auf eine Durchsuchungsanordnung wegen des Verdachts der Begehung einer Ordnungswidrigkeit nach dem TKG oder dem AFuG vorliegt, sollte im Hinblick auf § 101 GG die Nachvollziehbarkeit der Behördenstruktur einer rechtlichen Prüfung unterziehen.

Regelmäßig sollte auch der grundsätzlichen Zuständigkeit der Bundesnetzagentur Beachtung geschenkt werden. Zuständig ist sie nur dann, wenn der Bund die Gesetzgebungskompetenz hat. Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 GG nennt zwar die Telekommunikation füllt den Begriff jedoch nicht aus. Von besonderer Bedeutung ist Art. 30 GG. Gemäß Art. 30 GG ist die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt. Regelung im Sinne des Art. 30 GG ist Art. 87f GG. Ob Art. 87f GG eine Durchbrechung des Art. 30 GG und hier die Verfolgung der genannten Ordnungswidrigkeiten gestattet, ist wegen des Wortlauts des Art. 87f GG und dessen sachlich eingeschränkten Anwendungsbereiches eher zu verneinen. Denn auch für die einzelnen Artikel der Verfassung gelten das Bestimmtheitsgebot und das Rechtsstaatsprinzip. Es ist kein Grund erkennbar, warum die Sicherstellung der Frequenzordnung und die daran anschließende Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten nicht durch die Länder, sondern zwingend durch eine Bundesbehörde erfolgen muss. Der Begriff der Annexkompetenz ist in diesem Zusammenhang kein Heilmittel, denn Art. 30 GG gebietet aus historischen Gründen eine sehr restriktive Anwendung dieses Begriffes.

Rechtsanwalt Michael Riedel, Köln

Soweit die Stellungnahme von Rechtsanwalt Michael Riedel. Der Text darf nach Angaben des Autors verteilt und veröffentlicht werden. Bei weiterer Verwendung oder Abdruck in einer Publikation bittet Rechtsanwalt Riedel um Angabe der Quelle und Überlassung eines Belegexemplares.

Der Originalwortlaut der Entscheidung des Bundesgerichtshofs kann im Internet unter http://tinyurl.com/3lohmt heruntergeladen werden.

- wolf -

 

 


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